Die Disziplinen des Stoizismus

Die Disziplinen des Stoizismus liefern die Grundstruktur für sein Verständnis und seine Anwendung. Wahrscheinlich gehen sie auf Epiktet zurück.

Die Disziplin des Begehrens / der Leidenschaft / des Verlangens: Die Angemessenheit unseres Wollens

Von Epiktet wurde diese der Disziplinen des Stoizismus als eine der wichtigsten für Menschen, die sich erst mit der Stoa zu beschäftigen beginnen, angesehen. So riet er seinen Schüler sich hauptsächlich mit ihr zu beschäftigen, um die richtige Geisteshaltung zu erreichen.

Sie beschäftigt sich damit, dass eigene Denken und die eigenen Wünsche auf das zu richten, was zu erreichen realistisch ist. Weiterhin verlangt sie die Verlagerung des Denkens von den materiellen Dingen auf die Tugenden.

Er verdeutlichte dies z.B. mit den folgenden Sätzen:

„Wenn sie nie das bekommen was sie wollen werden sie nie glücklich sein. Und wenn sie mit etwas konfrontiert werden, dem sie aus dem Weg gehen wollten, werden sie ebenfalls ihres Glückes beraubt.
Dauerhaftes Glück entwickeln sie, indem sie sich darin üben, nur das zu wollen was sie auch wirklich bekommen können. Und lediglich das zu fürchten, was sie wirklich vermeiden können.“

— Epiktet,

und

Wir müssen aus den Dingen, die in unserer Macht stehen, das Beste machen und alles andere so nehmen, wie es ist.

— Epiktet, Lehrgespräche, I, 1

Durch die Verinnerlichung dieser Denkweise erreicht der Stoiker eine Geisteshaltung, die von den Problemen des Lebens unberührt bleibt, die auf den Punkt gebracht lautet: „Stoisches Denken ist, zu wissen was man kontrollieren kann und was nicht.
Dies gilt sowohl für Wünsche als auch Ängste und beinhaltet explizit auch die Zukunft und die Vergangenheit, die natürlich nicht kontrollierbar sind, sowie die Fokussierung auf die (teilweise) kontrollierbare Gegenwart.

Die der Disziplin des Begehrens zugehörigen Tugenden sind die Mäßigung und der Mut.

Die Disziplin des Handelns: Wie man sich in der Welt verhält

Heute würden wir die Disziplin mit ehren- und vorbildhaftem Verhalten, Prinzipientreue, sozialem Engagement und Zivilcourage bezeichnen. Sie sagt, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf unser gegenwärtiges Handeln richten, und dies den Tugenden entsprechend durchführen sollen.

Die Disziplin des Handelns beinhaltet also, dass man so handelt, dass des nicht nur einem selber, sondern auch der Allgemeinheit nutzt.

Die der Gerechtigkeit bzw. dem Handeln zugehörige Tugend ist die Gerechtigkeit.

Die Disziplin der Zustimmung:
Wie man auf eine Situation reagiert

Die dritte der Disziplinen des Stoizismus – die der Zustimmung – erfordert die Schulung einer gesunden Denkweise und die objektive Herleitung von Urteilen. So sollte der Stoiker Urteile und Gedanken niemals aus dem Impuls heraus fällen, denn

„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge.“

— Epiktet, Handbüchlein der Moral, 5,

Marc Aurel drückt es ähnlich aus:

„Wenn du dich über irgendeine Äußerlichkeit kränkst, dann belästigt dich nicht jene Sache, sondern dein Urteil über sie.“

— Marc Aurel, Sebstbetrachtungen, 8, 47,

Diese Denkweise erfordert Aufmerksamkeit und die Tugend der Weisheit. Die Zustimmung im Sinne der Stoiker entsteht in einem dreistufigen Prozess :

  1. Ersteindruck
  2. Objektive Erkenntnis
  3. Subjektives Urteil

Matthew J. van Natta erklärt dies in seinem Buch „Stoizismus – das besondere Buch für den angehenden Stoiker“ anhand des folgenden Beispiels:

Du bist alleine zuhause und hörst draußen ein Geräusch. Der Ersteindruck ist die reine, akustische Wahrnehmung des Geräuschs. […] Die objektive Erkenntnis daraus ist; „Ich habe draußen gerade ein Geräusch gehört.“
Der nächste Schritt ist der kritische: das subjektive Urteil. Hier erfolgt die persönliche Bewertung des Ereignisses. Diese kann zum Beispiel sein: ich bin in Gefahr – obwohl das vielleicht gar nicht der Fall ist.

Und hier setzt die Disziplin der Zustimmung an: Sie fordert vom Stoiker nach dem Ersteindruck und der objektiven Erkenntnis inne zu halten, und negative Gedanken nicht zu zulassen, sondern mit Hilfe der Tugend der Weisheit zu reflektieren und eine realistische Beurteilung der Situation zu erreichen.

Quellen

Stoizismus das besondere Buch für den angehenden Stoiker. 1. Auflage. München: Finanzbuch Verlag, 2021.
Mark Aurel, and Gernot Krapinger. Selbstbetrachtungen. [Nachdruck] 2022. Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 19641. Ditzingen: Reclam, 2019.
Epictetus, Kurt Steinmann, and Epictetus. Handbüchlein der Moral. Reclams Universal-Bibliothek, Nr. 19103. Stuttgart: Reclam, 2014.